Der 1. Mai in Neubrandenburg ist für Neonazis erfahrungsgemäß ein guter Demotag – mit Mobilisierungsergebnissen über der Norm, einer seit Jahren stagnierenden bzw. rückläufigen Zahl an Gegendemonstranten und einem massiven Polizeiaufgebot, das fast immer einen reibungslosen Ablauf für die Neonazis gewährleistet.
Die vergangenen Naziaufmärsche insgesamt haben gezeigt, in welcher Liga die Vier-Tore-Stadt mittlerweile spielt, wenn es um antifaschistischen Widerstand geht. Ein Großteil der Neubrandenburger_innen scheint nur wenig betroffen von dem braunen Ungeist zu sein, der die Stadt alljährlich heimsucht. Die Mobilisierungserfolge sind in die Durchschnittlichkeit abgerutscht, Gleichgültigkeit regiert in allen Stadtvierteln jenseits der Route.
Im vergangenen Jahr sorgte lediglich eine von Neubrandenburger Jugendlichen angemeldete Demonstration dafür, dass überhaupt Protest auf die Straße getragen werden konnte. Das so genannte Bürgerbündnis „Neubrandenburg bleibt bunt“ beschränkte seine Teilnahme auf das Anbringen alter, bunter Bilder an den Straßenlaternen entlang der Nazi-Route. Das Engagement der jungen Antifaschist_innen wurde begrüßt und gelobt, eine wirksame und nachhaltige Zusammenarbeit blieb jedoch aus.
In diesem Jahr könnte dann alles wie immer laufen: ab 10 Uhr möchte ein Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien (exklusive CDU und FDP) und Vereinen vom Rathaus bzw. vom Bahnhof in den Reitbahnweg wandern und die traditionelle 1.-Mai-Demo mit dem antifaschistischen Anliegen verbinden. So weit so gut. Doch glaubt man seitens der Anmelder_innen ernsthaft, so dem Naziproblem Neubrandenburgs wirksam begegnen zu können? Sind die Ergebnisse der Landtagswahlen 2006, bei denen die NPD im gesamten Stadtgebiet über 6 Prozent erzielen Konnte, schon vergessen (hier und hier)? Auch Bürger_innen dieser Stadt ist es folglich zu „verdanken“, dass derzeit sechs Neonazis im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ihr Unwesen treiben und gezielt versuchen, über parlamentarische Anfragen zivilgesellschaftliche Projekte auszuspionieren und ein Podium im Blick breiter Öffentlichkeit zu bekommen. Müssten ob der im Juni anstehenden Kommunalwahlen nicht alle Alarmglocken der „demokratischen“ Parteien läuten? Ist ein Strategiewechsel nicht längst überfällig?
Wenn nichts passiert in dieser Stadt… wenn die bestehenden Bündnisse nicht ausgebaut und (oder wieder) aktiviert werden, bleiben die Proteste nichts weiter als Reflexe des schlechten Gewissens; nicht mehr als symbolische Gesten für die Medien und ein Bienchen bei der demokratischen Pflichtübung „gegen Rechts“. Ein Demonstrationszug mit bunten Transparenten, klein aber entschlossen auf einer einsamen Bundesstraße – ein wichtiger Anfang aber noch lange nicht genug!
Dabei geht es nicht um Szenespalterei in den „bösen Schwarzen Block“ und die „langweiligen Bürger_innen“, sondern um eine neue Art des Protests. Positivbeispiele aus anderen Städten zeigen, dass es möglich ist sich entschlossen gegen Nazi-Aufmärsche zur Wehr zu setzen. Jede Form der Gegenwehr ist dabei zu begrüßen. Neben der Teilnahme an einer der Demonstrationen ist es wichtig, dass in Neubrandenburg endlich Stellung bezogen wird – über Parteigrenzen hinweg: durch Vereine, Schulen, Firmen – engagiert & couragiert!. Mit kreativen, bunten und ungewöhnlichen Aktionen muss Öffentlichkeit für das verdrängte Problem rechter Gewalt und Gesinnung in unserer Stadt gewonnen werden. Mit dezentralen Protesten jeder Art müssen wir Neubrandenburger_innen zeigen, dass Nazis keinen Platz in unserer Stadt haben.
Soziale Gerechtigkeit kann nicht über Ausschluss, sondern nur durch Teilnahme aller Menschen erzielt werden. Unsere Kritik an den bestehenden Verhältnissen geht mit der kategorischen Ablehnung nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Gedankengutes einher. Naziaufmärsche hinzunehmen und nur „Zeichen zu setzen“ ist nicht unsere Absicht, den rechten Alltag in Mecklenburg – Vorpommern zu bekämpfen und durch breite Gegenwehr zu verhindern ist unser Ziel.
Wir alle sind dafür verantwortlich, wenn Neonazis durch unsere Stadt marschieren wollen und wir alle sind dafür verantwortlich, wenn dies zugelassen wird!
Kein Naziaufmarsch in Neubrandenburg! Weder am 1. Mai, noch sonstwann!