von Wundern und Vergeltung
Die Nachbetrachtung des 7. Juni, von Seiten der Neo-NS-Propaganda, erinnert doch stark an die letzten Kriegstage von 1945. Wunderwaffen, Endsieg und der Erlösungsmythos sind nur einige Beispiele für agitatorische Verblendung… dass der Höhepunkt überwunden, der „Kampf“ verloren und alles Folgende nur noch Makulatur ist, wird verleugnet. Wir schreiben das Jahr 2008… „Die jährliche Demonstration in Neubrandenburg war für die Nationale Opposition ein voller Erfolg.“ lassen wir uns darauf ein…:
Es waren wie gewohnt Menschenmassen, die der Nationale Widerstand am Wochenende nach Neubrandenburg fuhr, um sie hier demonstrieren zu lassen. Dreihundertdreißig erleuchtete Kriegerinnen und Krieger des Volkszorns zogen unter dem Motto „Sozial geht nur National“ durch Vogelviertel, Ihlenfelder Vorstadt und Reitbahnweg. In sauberen Dreier-Reihen (sic!) aufgestellt, gesäumt und beschützt von angeblich 1000 gewaltbereiten Uniformierten, kam die rekordverdächtige Teilnehmerzahl voll zur Geltung. Die Anwesenheit der Speerspitze der nationalen Bewegung um Udo Pastörs motivierte wie eh und je aberhunderte degenerierter Dorf-Intellektueller zum Straßenkampf. Die nationale Jugend konnte durch ihre zahlreiche Präsenz (ca. 50 Personen) sogar einen eigenen Demo-Block stellen, der die erfahrenen Kameradinnen und Kameraden kämpferisch vor sich her trieb.
Und was dann geschah dürfte Eingang in die Annalen der Stadt Neubrandenburg finden. Es ist keine Woche her, da lachte die Antifa über die Drohungen aus der rechten Szene und gab sich siegessicher. Keine_r ahnte, dass die Autonomen Nationalisten – eine rechtsextreme Satiregruppe – tatsächlich Ernst machen würden… Es wurde kein „zweites Hamburg“ – was sich am 7. Juni in Neubrandenburg abspielte… es war ein Inferno des Schmerzes. Denn angesichts des aggressiven und rücksichtslosen Auftretens der Nationalen haben sich etliche Gegendemonstrant_innen beinahe tot gelacht, mindestens ein Opfer musste erkennungsdienstlich behandelt werden.
Fazit: Hamburch is immer noch an der Elbe und weeeiiit weg von Neubrandenburg, die Kirche bleibt im Dorf.
Aber genug Satire, rollen wir den Tag von vorne auf…
Bambule im Morgengrauen?
Zugegeben, es war früh. Um übertriebenen Auflagen oder Verboten zu entgehen sammelte sich das Antifabündnis bereits ab 8:00 Uhr zur Gegendemonstration vor dem Neubrandenburger Rathaus. Als gegen 8:30 Uhr weitere Unterstützer_innen mit dem Zug eintrafen sollte es eigentlich losgehen. Aber eine weitere Stunde verstrich, da der Lautsprecherwagen auf dem Weg zum Startpunkt von der Polizei aufgehalten wurde. Der Sprecher wurde, bislang ohne Begründung, für den gesamten Tag der Stadt verwiesen und der Fahrer für eine angeblich mangelhafte Befestigung der Technik auf dem Dach zur Kasse gebeten. Das bedeutete, abbauen, weiter fahren, aufbauen, Redner finden. Eine Stunde später konnte es jedenalls losgehen. Ca. 380 Demonstrationsteilnehmer_innen, darunter sowohl Bürger_innen, jugendliche Punker_innen wie auch ein Antifablock, machten sich auf den Weg in die Ihlenfelder Vorstadt. Von dem Druck der Einsatzleitung auf den Anmelder ließ sich die Demo nicht beeindrucken… An der Kreuzung von Demminer und Torgelower Straße wurde eine Zwischenkundgebung abgehalten. Mit Musik, Redebeiträgen und Transparenten wurde auf Nazigewalt, Nazistrukturen und mangelndes Gegenengagement aufmerksam gemacht. Danach ging es weiter zum Endpunkt auf dem Prenzlauer Platz, wo die Demo nach einem letzten Redebeitrag aufgelöst wurde.
Soviel zum nüchternen Verlauf… die Auswertung dürfte beiderseits kontrovers sein – unsere Sicht der Dinge
Wertendes
Positiv in Erinnerung bleibt vor allem das gemeinsame Engagement zahlreicher Jugendlicher unterschiedlicher Strömungen, was eine Gegendemonstration überhaupt ermöglichte.
Kreative Einflüsse von außen – sei es die schon bekannte Apfelfront oder der neue, pinke Süßigkeiten-Block – brachen mit reflexartigen Demoroutinen und lockerten die Stimmung auf.
In Anbetracht einer Vorlaufphase von nur einem Monat wurde eine intensive und erfolgreiche Mobilisierung auf die Beine gestellt, die ihre Wirkung nicht verfehlt hat.
Auch der private Protest des Oberbürgermeisters und seine Anwesenheit während der gesamten Aktion müssen bemerkt werden.
Der friedliche Verlauf des Tages ist auf das besonnene und kontrollierte Verhalten aller Teilnehmer_innen zurückzuführen und wird im Gedächtnis bleiben.
Gezielte militante Aktionen abseits und im Vorfeld der Demonstrationen, wie die Blockade der Zugstrecke bei Stavenhagen sind für die Zukunft weiterhin überlegens- und wünschenswert.
Der wohl größte Erfolg ist und bleibt der lächerliche Auftritt der Nazis selbst. Nach über einem Jahr der Zurückhaltung in Mecklenburg-Vorpommern und dem erwähnten Hamburg-Hype vom ersten Mai sollte Neubrandenburg das nächste „große Ding“ werden. Bieten konnte man aber lediglich zwei Drtittel der Teilnehmerzahl von 2007, ein ideologisches Auf-der-Stelle-Treten in Form der ewig gleichen Parolen und einen schwarzen Block, der eher an eine Freistoß-Mauer erinnerte.
Überwiegend bleibt allerdings die Kritik. Satiregruppen mit ihrer Comedy gegen Nazis sorgen zwar für einen breiteren Zugang zu antifaschistischem Engagement, nicht allerdings für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Neonazis und ihrer Ideologie. Lockere Atmosphäre ist wichtig und richtig, kann aber auch blind machen für wirkliche Probleme. Die Mobilisierung der Jugend war beachtlich und darf gelobt werden – die Gesamtanzahl von 380 Gegendemonstranten ist jedoch ein weiterer Tiefpunkt in der 7-jährigen Geschichte von Naziaufmärschen in Neubrandenburg. Das Bürgerspektrum versagte vollkommen, die Gewerkschaften und Parteien beschränkten ihren Aktionsradius auf Pressemitteilungen, wenn sie denn überhaupt etwas taten. Wo waren die gescheiterten Kandidaten der sechs Tage alten OB-Wahl, die nach bekannt werden der Nazidemo-Absicht nicht verlegen waren, mit ihren Aktivitäten rumzutönen? Wo waren Hochschulgruppen und Migrant_innen? Ferner wurden Rechtsmittel nicht vollends ausgeschöpft, das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald wurde nicht weiter angefochten – die Nazidemo hingenommen. Die Stimmung war teilweise lustlos und wenig kämpferisch – die Ursachen dafür mögen vielfältiger Natur sein…
… von glücklichen Bullen
Während sich die Beamt_innen in ihren Pressemitteilungen über den grünen Klee (!) loben, zeichnete die Realität ein anderes Bild. „Verpiss dich!“, „Du kleine Nutte“, „Halt jetzt die Fresse“ sind nur einige Beispiele für die Gesinnung der eingesetzten Polizist_innen. Die Repressionen gegen die Lauti-Besatzung, der Kessel um die Abschlusskundgebung der Antifa-Demo, die weiträumige Abriegelung der Wohngebiete und die offensiv zur Schau getragene Präsenz zeigen, dass die Einschüchterung „von oben“ gewollt war. Einsatzleiter Stang rühmt sich mit erfolgreicher Deeskalation und höflichem Miteinander, verschweigt aber Knüppeleinsätze bei zwei Sitzblockaden im Reitbahnviertel, bei denen Oberbürgermeister Paul Krüger im übrigen tatenlos zuschaute. Auch verschwiegen wird, wie in Güstrow vor wenigen Wochen, der Einsatz einer Hundestaffel gegen Antifaschist_innen – die Halter_innen hatten die Tiere wieder nicht unter Kontrolle, die Hunde bellten sich mitunter blutig und griffen Passant_innen an.
1000 Polizist_innen im Einsatz, fast eine Verdopplung im Vergleich zu den Vorjahren, belegen den Realitätsverlust und staatliche Paranoia. Die 410 Bundespolizist_innen waren ohne verfassungsrechtliche Grundlage im Einsatz, denn dieser ist nur legal, wenn die Polizeikräfte vor Ort keine ausreichende Kontrolle der Lage gewährleisten können. Dass die eigentlichen Aufgaben des ehemaligen Bundesgrenzschutzes, nämlich die Sicherung von Grenz-, Schienen- und Luftverkehr, durch den außerordentlichen Einsatz mehrerer Hundert Kräfte nicht wahrgenommen werden konnten, belegt der oben genannte Vorfall bei Stavenhagen.
Was bleibt…
… ist die Bestätigung. Der vergangene Samstag hat gezeigt, dass der nationale Widerstand in seinem Handeln und in seinen Kapazitäten sehr beschränkt ist. Eine Demonstration im Jahr, ein Demomotto aus dem Winterschlussverkauf 1933, zudem ein Mobilisierungsdesaster, sind auf den ersten Blick höchst erfreulich. Drohungen von Angriffen auf Punk-Konzerte oder militanten Aktionen während der Demonstrationen bleiben die Phantasien einiger wichtigtuerischer Nazi-Kids. Aber der Verlauf des Tages ist auch Beleg für die Wichtigkeit antifaschistischer Aufklärungsarbeit… Die Mehrheit der Bürger_innen scheint genervt vom jährlichen Spektakel und bleibt zu Haus oder verreist. Die Gefahr für Menschen in prekären Lebenslagen, die keine antifaschistische Grundeinstellung haben wird verkannt und geleugnet. Die Zeiten von Tausenden Gegendemonstrant_innen scheinen vorbei. Es ist an der Zeit, neue, kreative und offensivere Möglichkeiten zu finden und zu entwickeln, um dieser Resignation entgegen zu wirken… nicht erst 2009.